Dieser zweite Fachbericht zum Thema Blindleistung und insbesondere der Verzerrungsblindleistung ergänzt den ersten Beitrag Cos ϕ vs. Leistungsfaktor Theorie. In diesem Beitrag wird mit einem Netzanalysator (PQ-Box 200) die Spannung und der Strom einer Glühlampe in einer Onlinemessung gemessen, welche über eine Phasenanschnittsteuerung geregelt wird. Anhand dieses Messbeispiels wird die Entstehung der verschiedenen Blindleistungsarten veranschaulicht.
Das Beispiel zeigt, wie man mit einem Netzanalysator die Spannung, den Strom und die Leistungsmesswerte einmal auf der Netzseite an der Steckdose und einmal direkt am Verbraucher, in diesem Fall einer Glühlampe, misst. Mit diesen Messwerten kann man dann die Verzerrungsblindleistung berechnen und analysieren.
Im Online Oszilloskopbild sind die Kurvenformen von Strom und Spannung sichtbar. Zunächst werden nur die Spannungen eingeblendet. Ein Sinus der Steckdose ist zu erkennen, welcher eine saubere Form aufweist, jedoch leicht abgeflacht ist. Dies ist typisch für Bürogebäude, in denen eine Vielzahl an einphasigen Netzteilen verwendet werden. Die Netzspannung hat einen Effektivwert von nahezu 230V UL1. Ist die Phasenanschnittsteuerung auf maximale Helligkeit eingestellt so beträgt der Effektivwert des Stromes 1,33A.
Über die Phasenanschnittsteuerung wird nun die Spannung soweit angeschnitten bis sich ein Stromeffektivwert von 1A einstellt. Der Strom ist an jeder Stelle der Schaltung identisch und beträgt an der Glühlampe ebenfalls 1A RMS.
Die Spannung an der Glühlampe wurde reduziert auf einen Effektivwert von 135V. Da die Glühlampe ein ohmischer Verbraucher ist, folgt der Strom 1:1 der angelegten Spannung. In den Messergebnissen ist die Spannung an der Steckdose in grün und die Spannung, die über die Phasenanschnittsteuerung der Glühlampe gegeben wird, in blau dargestellt.
In der Messung wurde eine Spannung von 135 Volt und einen Strom von 1 Ampere an der Glühlampe gemessen. An der Netzseite wurden 230 Volt und 1 Ampere gemessen. Somit stellt sich die Frage welche Leistungsmesswerte sich auf der Netzseite sowie am Verbraucher ergeben? Welche Leistung wird mir als Wirkleistung berechnet?
Durch die Verwendung der Phasenanschnittsteuerung ergibt sich eine Verschiebung der Grundschwingungspannung zum Grundschwingungstrom. Hierdurch bekommen wir einen Phasenwinkel phi der Grundschwingungsverschiebung. Der Strom ist in diesem Fall um 40 Grad nacheilend zur Spannung. Der Phasenwinkel auf den Phasen L2, L3 (an der Glühlampe) ist nahezu Null, was einem Cosinus-Phi von exakt 1 entspricht. Es ist zu beachten, dass die Glühlampe weiterhin ein ohmischer Verbraucher bleibt.
Das Bild Nr. 5 zeigt alle Leistungsmesswerte der Messeingänge der PQ-Box 200. Alle Messwerte der Phase L1 beziehen sich auf den Netzanschluss (Steckdose), die Messwerte L2 und L3 wurden direkt an der Glühlampe ermittelt.
Es ergeben sich somit folgende Leistungsmesswerte:
- Messwerte an der Glühlampe (L2, L3)
Die Wirkleistung entspricht der Scheinleistung. Der cos ϕ sowie der Leistungsfaktor PF liegt auf dem Wert 1, was einem rein ohmschen Verbraucher entspricht. - Messwerte am Netzanschluss (vor der Phasenanschnittsteuerung; L1)
Aufgrund der Phasenverschiebung von Grundschwingung Strom zu Spannung mit ca. 40° ergibt sich eine Grundschwingungsblindleistung in Höhe von 114Var. Diese Blindleistung alleine kann nicht die Differenz zwischen der Scheinleistung (232VA) und der Wirkleistung (140W) erklären. Der Leistungsfaktor der sich aus der Division aus Schein und Wirkleistung ergibt beträgt hier den Wert 0,6. Der cos ϕ den man aus dem Phasenwinkel phi berechnet ergibt einen Wert von 0,77.
Versucht man nun die Wirkleistung am Eingang der Schaltung über die bekannte Formel P = U x I x Cos(Phi) zu berechnen so erhält man falsche Messwerte. In unserem Fall eine Wirkleistung von 177W. Damit die Formel eine korrekte Wirkleistung berechnet muss darauf geachtet werden für den Strom auch nur den 50Hz Anteil des Stromes ein zu setzten. Dieser Entspricht mit 1A.
Die Analyse des Stromspektrums zeigt einen Effektivwert von 1A, welcher die Summe aus der Grundschwingung und allen Stromharmonischen darstellt. Wird der Cursor auf 50 Hertz positioniert, zeigt die Software WinPQ mobil einen Wert von 770mA und z.B. auf 150 Hertz ein Wert von 118mA. Korrekte Berechnung der Wirkleistung erfordert die Verwendung von 230 Volt multipliziert mit dem korrekten Strom, welcher auf den 50 Hertzanteil von 0,770A und den Cosinus des Winkels Phi von 0,77 beschränkt ist. Das Ergebnis entspricht nun dem Wert, der von der Glühlampe umgesetzt wird. Das Messgerät berechnet dies bereits korrekt, wodurch eine Wirkleistung von 139 Watt auf der Netzseite ermittelt wird. Die Glühlampe setzt momentan 136 Watt um. Die Differenz von wenigen Watt ist auf Verluste des Dimmers zurückzuführen.
In dieser Schaltung ist die Oberschwingungsblindleistung nicht zu vernachlässigen. Diese lässt sich in der Grafik 8 erkennen (mit D gekennzeichnet).
Die kollektive Gesamtblindleistung setzt sich in dieser Messung aus der Grundschwingungsblindleistung von 114Var und einer Verzerrungsblindleistung (Oberschwingungsblindleistung) von 147Var zusammen. Diese quadratisch summiert ergeben eine kollektive Gesamtblindleistung von 186Var. Die Wirkleistung beträgt 138W. Die Grundschwingungsverschiebungsblindleistung von 114Var steht im rechten Winkel zur Wirkleistung (grün). Die quadratische Summe der beiden Blindleistungen ergibt die gesamte Blindleistung für die Phase L1 (rot) mit 186var. Die Wirkleistung und Gesamtblindleistung quadratisch summiert ergibt 232VA (blau), was wieder U mal I entspricht. Es muss beachtet werden, dass in elektrischen Anlagen, wenn der Strom nicht sinusförmig ist, eine Verzerrungsblindleistung vorliegt und diese bei der Berechnung der Leistungen mit einbezogen werden muss.
Autor
Jürgen Blum, Produktmanager Power Quality Mobil